Aus den Erinnerungen
des John H. Watson M.D.
Zusammengetragen im
20. Jahrhundert,
ereignet im 19. Jahrhundert
1.Mr. Sherlock HolmesEs war ein dunkler November-Abend und ich saß neben meinem Freund Sherlock Holmes vor dem warmen Kamin der Mietwohnung 221 B Baker-Street. Während von der Feuerstelle leises knistern ausging und den Raum mit einem gemütlichen, orangenen Licht flutete saß mein Gefährte tief in Gedanken versunken in seinen Lehnsessel gestützt und sog an einer Pfeife. Er schien tief in Gedanken versunken, doch ich konnte seine Augen unter den Liedern im Licht des Feuers glitzern sehen.
Draußen wirbelte der Wind ein paar Schneeflocken auf und wenn ich versuchte eine mit meinem Blick zu erfassen, so entglitt sie mir sofort.
Als ich jedoch wieder versuchte eine der kleinen Kristalle zu beobachten fiel mein Blick auf einen Mann, der gerade unter dem Schein einer Laterne durch die Baker-Street lief.
„Ich frage mich, was der Gentleman zu dieser unangenehmen Zeit hier sucht.“
brach ich das Schweigen.
Wie ein Raubadler ließ Holmes seinen hageren Kopf zu mir zucken, die Augen nun weit offen.
„Meinen Sie etwa den da vorne?“ fragte er leise. „Der will zu uns.“
Er nahm die Pfeife aus dem Mund und legte sie auf einen Beistelltisch.
„Sehen sie die Zeitung unter seinem Arm? Es ist die von gestern. Gestern waren wir, leider Gottes mit Lestrade, in der Times. Er sucht meine Hilfe auf, wahrscheinlich, weil er es bereits bei Scotland Yard versucht hat!“
Er trat ans Fenster, ohne mir dabei die Sicht zu nehmen.
„Wir werden wohl Unterstützung bekommen.“Sagte er dann und Welten von Sarkasmus lagen in seiner Stimme.
In dem Moment schien der Mann unsere Tür entdeckt zu haben, denn es klopfte einmal und wenig später hörten wir Mrs. Hudson, wie sie mit jemandem sprach. Die Schritte auf der Treppe ließen dann auch nicht mehr lange auf sich warten.
Ein leises Pochen kam von der Tür, Holmes bedachte mich mit einem kurzen Blick, dann rief er den Gast herein.
Gordon White war ein Mann von etwa 30 Jahren mit braunen Haaren, tiefen, dunkelgrauen Augen und harten Zügen. Er war groß und schlaksig. Nachdem er gegangen war hatte mir Holmes erzählt, dass er in einer Fertigung für Tische arbeite und sowohl Frau als auch Kinder habe.
White kam mit offensichtlicher Sorge zu meinem Gefährten.
Er trat ein und hatte seine Finger in die Hutkrampen gebohrt, nervös kaute er auf seiner Unterlippe und seine Wangen, die vorher von einem dicken Schal umgeben gewesen waren schimmerten rot.
Er trat ein und musterte zuerst mich, bevor er meinen Freud erblickte, mir noch einmal kurz zunickte und dann mit einer kehligen, Angstvollen Stimme zu sprechen begann.
„Mr. Sherlock Holmes…“ er legte eine Pause ein, vielleicht um sich sicher zu sein, dass er mit dem Richtigen sprach.
Als mein Gefährte fast unmerklich nickte und zu seinem Lehnsessel strich, in den er sich fallen ließ, fuhr der Besucher fort.
„Ich komme zu ihnen, weil ich Angst habe… Ich… Ich weiß nicht, ob ich…“
Holmes machte eine kurze Bewegung mit der Hand, um dem Besucher zu bedeuten, dass er sich setzen konnte, was eben dieser dankend tat.
Fast, als habe er neuen Mut gefasst schluckte der Besucher einmal und versuchte es dann erneut.
„Ich… Ich habe vor wenigen Tagen dieses Paket bekommen…“ Doch wieder versagte seine Stimme und er atmete flach, das Zeichen eines schweren Schocks.
Ich sah kurz zu meinem Freund, der nickte und ich brachte White eine Decke, die ich ihm auf um die Schultern legte.
Der Mann sah mich dankend an, dann knetete er seine Finger unter der Decke.
Er brauchte noch etwas Zeit und Holmes hatte bereits einmal seine Taschenuhr herausgeholt, jedoch schien White sich zu entspannen und erzählte uns dann bereitwillig alles über seine Besorgnis.
„Ich war vorvorgestern Morgen schon sehr unausgeschlafen, Irgendwelche Taugenichtse hatten vor meinem Fenster Radau gemacht, und dann bekam ich dieses Päckchen. Er war an mich adressiert und enthielt ein Fässchen roter Tinte und einen Stapel Papier…“
Mein Freund unterbrach Mr. White einmal kurz, um zu fragen, ob jener denn das Paket mitgebracht habe.
Der Besucher bejahte und holte ein kleines Päckchen aus seinem Umhang.
Interessiert musterte Holmes es, zuerst ohne, dann mit Vergrößerungsglas.
Mr. White erzählte weiter, als mein Gefährte ihm kurz einen Wink gab.
„Außerdem war ein Brief enthalten. Ich soll mit dem Papier und der Tinte jemandem Verkünden, dass sein Tod gekommen ist. Wenn nicht…“
„Wird das ihr Ende sein.“ Sagte Holmes, jetzt den Blick erhoben.
„Woher wissen sie das so wörtlich?“ fragte White, bleicher, als er es ohnehin schon war.
Holmes ließ einen Mundwinkel nach oben wandern.
„Sie haben den Brief zurück ins Paket gelegt. Ist das ihr persönliches Briefpapier?“ fragte er dann, ein wenig schockiert.
White zuckte Hilflos mit den Schultern.
„Das ist ein weiterer Fakt, der mich verwirrt. Ich hatte nie Briefpapier mit meinem Namensaufdruck bestellt.“
„Aber sie sind damit noch nicht zu der Firma gegangen? “
„Nein, Sir. Ich wollte damit erst zu ihnen.“
“Kennen sie diesen… Mr. Smith?”
“Nein, aber auch einem Fremden würde ich niemals einen Solchen Brief schreiben!”
Mein Gefährte raffte sich auf und nahm seine Jacke, die er sich anzog.
„Dann werden wir nun zu der Firma gehen. Mit Verlaub, darf ich das Päckchen mitnehmen?“
Sofort begann unser Besucher an zu zittern.
„Bitte lassen sie mich nicht allein.“ Flüsterte er heiser.
Holmes warf noch einen Blick auf den Brief.
„Oh, ja! Sie sollten den Brief bereits gestern abgeschickt haben!“ sagte er dann leichthin.
„Watson, darf ich sie bitten, hier zu bleiben?“ fragte er dann.
Ich warf einen kurzen Blick zu Mr. White, dann nickte ich.
Mein Gefährte warf sich nun einen Schal um den Hals.
„Bitten Sie doch Mrs. Hudson ihnen einen Tee zu machen, das wird sie eventuell aufheitern.“ Wies er uns noch an, dann war er aus der Tür verschwunden.
Es dauerte eine gewisse Zeit, bis mein Freund uns wieder mit seiner Anwesenheit beehrte. Dennoch habe ich in unserer Freundschaft gelernt öfters zu warten, und deshalb kam mir die Wartezeit nicht allzu lange vor. In der Tat war es mit dem Zugegensein eines weiteren Mannes ein ganz netter Abend und auch Mr. White entspannte sich mit der Zeit sichtlich.
Wir hatten gerade ein weiteres Schachspiel beendet, als ein Mann eintrat.
Er machte mit seinem Langen, verfilzten Bart und den abgefetzten Kleidern einen seltsamen, gar verwahrlosten Eindruck und hinzukam, dass er von etlichen Flecken übersät war, von denen ich nicht alle deuten konnte.
Wie als sei er hier zuhause, ließ er sich auf Holmes Sessel fallen und zündete sich seine Pfeife an.
Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was mein Freund sagen würde, wenn ein Bettler sich seiner Sachen bediene, aber diese Sorgen waren schon bald verflogen, als der Pracher sich die breite Nase ab nahm und den Bart Abriss und damit die Charakteristischen Gesichtszüge meines Gefährten freilegte.
„Was… was haben Sie mit ihrer Kleidung gemacht?“ fragte ich.
„Es war notwendig!“ maulte Sherlock amüsiert über meinen schockierten Gesichtsausdruck.
Dann wandte er sich an Mr. White, der bei Holmes auftreten gewissermaßen in seinen Stuhl geschrumpft war.
„Was die Fakten angeht: Ich bin also zu der Firma gegangen und habe das Papier eingereicht. Da es aber schon so spät ist, wollten sie es nicht mehr überprüfen.(Ich hatte einen Blick auf meine Taschenuhr geworfen, es war gerade 1 Uhr in der Früh geworden, als mein Freund von seinen Ermittlungen zurückgekehrt war)Ich werde es Morgen auf jeden Fall noch einmal versuchen.“
Mr. White schien nicht allzu erfreut über diese Wendung der Dinge denn sein Gesicht war noch eine ganze Farbpallette weißer geworden.
„Entspannen sie sich, Mann!“ sagte Holmes grob; anscheinend hatte er kein Verständnis vor Whites Angst „Wir geleiten sie nach Hause!“
Er schnappte sich, zu unser aller Erstaunen, den Bart und bald führte er Gordon White zur Tür, aber im Vorbeigehen flüsterte er mir leise zu, ich solle meinen Revolver einpacken, was ich nur zu gerne tat.
2. Holmes erste DeduktionenAuf der Straße wies Mich Holmes an eine Kutsche zum Anhalten zu bewegen, und er weigerte sich zu sagen, warum er mir diese Forderung auferlegt hatte.
So tat ich also doch wie mir geheißen und wenig später hielt eine Droschke vor uns. Mein Gefährte nahm sofort eine schwankende Haltung an, sobald das Fahrzeug in die Baker-Street eingefahren war. Und kaum hatten wir Platz genommen begann er zu lallen, blöde Scherze zu machen und die Nationalhymne anzustimmen, bevor er uns alle, den Fahrer eingeschlossen, bat mitzusingen. Er machte ganz und gar den Eindruck eines hoffnungslos Betrunkenen.
Das war mir natürlich sehr unangenehm, vor allem, als wir an Bekannten meiner Wenigkeit vorbeifuhren, die selbstredend zu uns aufsahen. Etwas beschämt versuchte ich in meinem Sitz einzusinken.
Als wir schließlich in der Kensington-High-Street hielten bedankte sich mein Gefährte schwankend, torkelte aus der Kutschentür und landete, den Kopf unten, auf dem Gehsteig. Dort verharrte er eine kurze Zeit, ich hatte in der Zwischenzeit bezahlt und neben Mr. White den Wagen verlassen, und als er aufstand tat er das albern lachend und sich auf mich stützend.
Doch kaum waren wir in Whites Hausflur getreten wischte er sich den Schneematsch aus dem Gesicht und säuberte seinen Bart.
„Äußerst peinlich. Aber das war es wert.“ Murrte er.
„Wert?“ fragte ich ein wenig verstimmt. „Wir sind an sehr vielen Leuten vorbeigekommen, zum Teil auch ehemalige Patienten und dank ihrer lauten Geräusche weiß nun halb London davon, dass sich Dr. Watson mit Betrunkenen ins Nirwana kutschieren lässt.“
„Genau das ist der Punkt, Watson!“ sagte Holmes, keineswegs eingeschüchtert durch meine Übellaunigkeit.
„Sie und ein Betrunkener! Niemand hat White gesehen, oder beachtet, also hat niemand versucht Mr. White zu töten. “
Ich schnaubte einmal. Mr. White hatte inzwischen die Tür aufgeschlossen, und bevor er eintrat sagte Holmes noch:„Und noch was, mein lieber Doktor: Glauben sie wirklich, dass halb London ausgerechnet heute Abend auf dem Weg zwischen der Baker-Street und dem Anwesen Mr. Whites verstorbenen Vater unterwegs war?“
Als ich den Raum betrat hatte Holmes bereits auf einem der gemütlichen Sitze Platz genommen und sah sich interessiert um.
Nachdem er meine Anwesenheit bemerkt hatte, wandte er sich an Mr. White, der zusammengekauert auf einem anderen Fauteuil saß.
„Sagen sie mir, warum sie uns auf das Anwesen ihres Anverwandten gebracht haben?“ fragte er nachdenklich.
„Hier wird man mich weniger suchen, als zuhause. Außerdem bringe ich hier niemanden in Gefahr.“ Vertraute uns unser Klient an.
„Ihr Vater ist verstorben, richtig?“ fragte Holmes und lies seine Blicke über die Wände streichen.
Mr. White quittierte das mit einem Nicken.
„Wann hat er ihnen denn die Nutzung dieser Räumlichkeiten erlaubt?“ fragte Holmes und lies nun seinen schneidenden Blick auf unserem Klienten ruhen.
„Kurz vor seinem Tod.“ Murmelte White.
„Was für ein Tod?“
„Herzversagen.“
„Ist das bestätigt worden?“
„Ja.“
Holmes Interesse an dem Abscheiden des alten Mr. White verrauchte blitzartig und dafür untersuchte er die Familien-Portraits.
„Nicht sehr aufwendig gemacht… Darf ich wissen, was ihre Eltern von Beruf waren? Weil dieser Raum außer den Portraits und den Sitzgelegenheiten leer ist kann ich mir nicht wirklich einen Reim darauf machen.“
„Es tut mir leid, mein Vater war schon sehr früh in Rente, soweit meine Gedanken reichen, ich kann mich nicht daran erinnern.“
„Und sie haben nie danach gefragt?“
„Nein, nie.“
Holmes wanderte noch ein wenig im Zimmer umher, dann nahm er seinen Hut vom Tisch.
„Kommen Sie Watson, wir wollen Mr. White nicht um seinen Schlaf bringen.“
Ich griff nach meinem Gehstock, aber ich spürte eine Hand auf meinem Arm.
„Kommen Sie morgen wieder?“ fragte unser Mündel.
„Morgen werde ich meine Nachforschungen fortsetzen. Aber Mr. Lestrade wird da sein und alles untersuchen. Wobei ich bezweifle, dass man die wichtigsten Sachen hier entdecken wird.“ Antwortete mein Kamerad an meiner Stelle.
Mr. White nickte etwas redescheu, dann trat Sherlock Holmes mit einem verabschiedenden Nicken in den Flur.
„Sehen Sie, Watson?“ wiederholte er seine Worte von vor wenigen Stunden, in dem gleichen Tonfall wie vor wenigen Stunden, „Wir werden Scotland Yards unverzichtbare Hilfe bekommen. Wir werden Hilfe bekommen. Hoffentlich trampeln sie nicht die wenigen Beweise in Grund und Boden.“
Noch bevor Lestrade und seine Leute alles in Grund und Boden trampeln konnten hatte Holmes sich noch einmal den Vordergarten angesehen.
Als wir dann um 3:00 AM todmüde zurück in die Baker-Street gekommen waren hatte ich mich sofort in mein Schlafgemach zurückgezogen. Ich hatte nicht mehr darum gekümmert, ob denn Sherlock Holmes den Weg in seine fand. Aber anscheinend hatte er sie und den Schlaf sehr schnell gefunden, denn als ich am nächsten Tag den Wohnraum betrat war sein Platz am Tisch bereits leer und von Brotkrümeln übersät.
Ich fand einen Zettel auf meinem Teller, auf dem er mir schrieb, dass er sich auf zur Wohnung von Mr. Und Mrs. White gemacht hatte.
Also ließ ich mich auf meinem Platz nieder und wollte das Hühnerei köpfen. Es war aber leer und ich konnte sehen, dass es schon jemand verzehrt hatte und sich mit mir einen Scherz erlaubt hatte.
Ich drehte die Nachricht meines Freundes um und entdeckte die Zeilen
Und lassen sie sich nicht so leicht reinlegen, alter Knabe
Auf die Rückseite geschrieben.
Lachend griff ich nach Holmes‘. Er hatte es noch nicht verzehrt.
Ich lächelte vergnügt, anscheinend war Holmes heute Morgen sehr gut drauf gewesen, während ich meinen Toast verzehrte, meinen Tee trank und mir anschließend die Times nahm.
Ich hatte mir gerade einen Artikel durchgelesen, da schwang die Tür auf, und Holmes trat ein.
Er schien nicht sonderlich erfreut, er warf sich in seinen Sessel und zündete seine Pfeife an.
Einige Zeit starrte er einfach den Kamin an, als wolle er ihn mit Blicken zertrümmern, dann wanderte sein Blick zu mir, und er begann mit seinem Bericht.
„Die Firma hat zugemacht.“
„Eh?“
„Die Firma, die das Papier hergestellt hat. Lennons Paper with signature. Als ich heute in die Räumlichkeiten kam, war die Firma geschlossen und sämtliche Mitarbeiter verschwunden.“
„Und niemand hat ihnen Auskunft geben können?“
„Die Firma hat wohl finanzielle Probleme gehabt und hat sich über den weiteren Verlauf in Schweigen gehüllt.“
„Wie lief es denn bei der White-Wohnung?“ fragte ich, um von dem unangenehmen abzulenken.
„Kaum ergiebiger. Ich habe im Schnee vor dem Briefkasten Fußspuren entdeckt und konnte herausfinden, dass sie weder von der Frau noch von den Kindern kamen und ich habe bei der Poststelle einen Mann gefunden, dem diese Spuren gehören, aber der Mann hat nicht erfahren, wer die Sachen für einen Mr. White abgegeben hat. Und auch niemand sonst.“
„Wie unerfreulich.“ Sagte ich mitleidig.
„In der Tat. Würde es ihnen etwas ausmachen sich noch einmal mit einem Betrunkenen durch halb London ins Nirwana kutschieren zu lassen, Watson?“
Ich musste auf die Anspielung des gestrigen Tages lachen.
„Nur wenn der Betrunkene diesmal nüchtern, gepflegter und wohlriechender ist.“
Wenig später waren wir aus der Droschke ausgestiegen.
Vor uns ragte das alte Gemäuer des Obdachs Mr. Whites auf.
Als wir klopften öffnete ein Polizist, hinter ihm funkelte uns das Frettchen hafte Gesicht Lestrades entgegen.
„Wenigstens sind sie nicht in Uniform gekommen. Das wäre wohl etwas sehr auffällig gewesen.“ Begrüßte Holmes ihn.
„Holmes! Hat Scotland Yard sie gebeten herzukommen?“
„Nein. Es war Mr. White höchst persönlich. Und ihn möchte ich bitte auch sprechen.“
Unwillig ließ uns Lestrade eintreten und wenig später saßen mein Gefährte und ich, auf Holmes Bitten mit White allein, in der Küche.
„Ich habe ein paar Fragen an sie, White.“ Sagte Holmes gerade und zündete sich seine Pfeife an. White nickte.
„Ich werde ihnen alles beantworten, wenn sie dadurch diesen Mistkerl schnappen können.“
„Können Sie mir sagen, inwiefern ihnen ihr Vater die Benutzung seines Anwesens erlaubt hat? Hat er dabei irgendetwas Besonderes gesagt?“
White schien verblüfft.
„Ja, hat er. Er meinte, ich dürfe seine Räumlichkeiten benutzen, wenn etwas hinter mir her wäre. Damals dachte ich, er meinte damit Stress auf der Arbeit oder so etwas.“
Sherlock Holmes war erfreut aufgesprungen.
„Etwas hinter ihnen her? Sehr schön! Sehr schön! Wann hat er das gesagt?“
„Kurz vor seinem Tod, er lag im sterben.“
Holmes Augen glitzerten wie die eines Kindes, das über ein neues Spielzeug erfreut ist.
„Sehr schön! Sehr schön!“ murmelte er. „Ihr Vater muss also von dem Mann, oder der Frau, der oder die Sie bedroht gewusst haben.“
Er rieb sich das Kinn, während er im Raum auf und ab lief.
„Manchmal habe ich echt Glück. Zwei Fälle nacheinander. Himmlisch!“
Er blieb ruckartig stehen und durchbohrte Mr. White mit seinem stählernen Blick.
„Ihr Vater! Hat er Tagebücher geschrieben?“
„Nein…“ stammelte White. „Nicht, dass ich wüsste!“
„Nun gut.“ Sagte Holmes, auch wenn das glitzern ein wenig abgenommen hatte.
„Weiter… Ähm…Der Mann, dem sie den Drohbrief schicken sollen, Mr. Smith, mit dem sind sie nicht vertraut, sagten sie?“
„Nein, ich kenne ihn nicht.“
„Vielleicht ist er in die Pläne des Fadenziehers eingeweiht…“
Er ließ blau-graue Wölkchen von seinem Mund aufsteigen.
„Ich weiß leider zu wenig. Das ist mir sehr unangenehm.“
Ein Polizist steckte seinen Kopf zur Küchentür hinein.
„Sir? Lestrade hätte gerne noch einmal mit Mr. White gesprochen, Sir.“
Holmes ließ sich wieder auf seinen Stuhl zurückfallen.
„Geben sie uns noch fünf Minuten.“ Seufzte er.
Der Polizist nickte, dann verschwand sein Kopf aus der Tür.
Eine kurze Zeit herrschte Schweigen, und ich hatte schon bedenken, dass gar nichts mehr gesagt wurde, aber schließlich fasste Sherlock Holmes wohl einen Entschluss.
„Sie werden den Brief schreiben. Sie werden ihn abschicken und wir werden abwarten, was passiert, vielleicht dem Briefträger folgen.“
Das war ein sehr riskanter Plan und ich hätte Holmes das nicht zugetraut, aber er schien sich der Sache sehr sicher.
„Und noch was: Sie werden den Brief schreiben, den Mann aber nicht umbringen, egal was passiert. Und Scotland Yard erfährt kein Wort.“
In just dem Augenblick streckte Lestrade seinen Kopf in die Küche und sah aus wie ein wütendes Frettchen.
„Wenn sie dann endlich fertig wären, Holmes?“ knurrte er.
Holmes löschte seine Pfeife und schüttelte White dann kräftig die Hand, dessen Gesicht inzwischen seinem Namen alle Ehre machte.
„Wir werden morgen wiederkommen.“ Lächelte er.
Dann trat er auf den Flur und wenig später in den Vorgarten.
„Mein lieber Watson! Es tut mir leid, dass ich sie so ausbuche! Aber ich schätze ihre Anwesenheit so sehr.“
„Macht euch darum keine Sorgen.“ Bemerkte ich. „Ich habe ja nichts anderes mehr zu tun.“
Mein Kamerad bedachte mich mit einem netten Lächeln.
„Ihr seid ein wahrlich treuherziger Genosse.“ Sagte er freudig. „Nun gut. Auf in die Baker-Street! Ich freue mich auf Morgen!“
An dem Tag taten wir dann nicht mehr, als zu reden und Holmes spielte noch ein wenig Violine.
Er klärte mich leidenschaftlich darüber auf, warum Stradivaris so teuer und andere vergleichsweise so billig waren und freute sich darüber, dass gerade eine berühmte Oper im Covernd Garden gegeben wurde.
Trotz der Zeitfüllenden Unterhaltung dauerte es lang, bis es dunkel wurde.
Holmes war noch einmal zu Mr. White gefahren, aber rechtzeitig zum Abendessen Heimgekehrt.
Wir aßen schweigend und unterhielten uns danach noch ein wenig.
Alles in allem war der Abend doch etwas ermüdend gewesen.
Als ich dann nachts in meinem Bett lag und den Schneeflocken beim sinken zusah plagten mich doch die Zweifel, ob Holmes die richtige Entscheidung gefällt hatte, als er Mr. White die Order erteilt hatte, den Brief zu schreiben.
Mich plagten zweifel und ich konnte Big Ben zwölfmal Dongen hören, doch schlafen kam nicht in Sicht.
Ich entschloss mich, einen Tee zu machen und schlich, bemüht meinen Mitbewohner nicht zu wecken, in den Wohnraum, um zu sehen, ob noch etwas vom Abend-Tee da war. Aber ich hätte Holmes gar nicht wecken können.
Er saß tief in seinem Sessel, in eine Decke eingekuschelt, die Geige auf dem Schoss, die Pfeife im Mund und zupfte ein wenig an der Fiedel herum.
Er hatte die Augen halb geschlossen und atmete ruhig, und hätte er dem Instrument keine Töne entlockt hätte ich gemeint, er wäre eingeschlafen.
„Ich habe ja schon Leute morgens, mittags und abends Tee trinken sehen, aber Mitternachts?“ sagte er mit gedämpfter Stimme.
„Könnt ihr auch nicht schlafen, alter Junge?“ fragte ich und ließ mich schwerfällig in den anderen Sessel plumpsen.
„Mich plagen Zweifel, dass ich etwas nicht richtig gemacht habe. Ich habe zu wenig Informationen.“
„Ihr habt mehr Aufschlüsse als alle von Scotland Yard zusammen.“ Versuchte ich ihn aufzumuntern.
„Und das sind zu wenige.“ Seufzte Holmes und fiedelte ein wenig lauter.
Es war eine undefinierbare Melodie aus willkürlich zusammengesetzten Noten.
„Holmes. Sie machen sich zu viele sorgen. Es wird schon funktionieren.“
„Sie sind doch auch gekommen, weil sie über meinen Plan besorgt sind.“
Holmes richtete anklagend den Geigenbogen auf meine Nasenspitze.
„Eigentlich bin ich gekommen, um Tee zu trinken.“ log ich.
Holmes zog in einer geschmeidigen Bewegung den Bogen zurück und verfiel wieder in das seltsame Stück von eben.
3. Der Brief des WhiteAm nächsten Tag ging ein dunkler Regenschauer hinunter.
Der Rasen war aufgeweicht als mein Gefährte und ich über den Gehweg zu der Haustür eilten.
Mr. White empfing uns mit gehetzten Blicken.
„Wie sie es wünschten, ist Scotland Yard heute nicht gekommen. Aber Kommissar Lestrade war außer sich!“
„Das wird es wert sein. Der Brief wird hoffentlich mehr Antworten bringen. Haben sie ihn fertig?“
Mr. White nickte.
„Ich habe es so gemacht, wie der Unbekannte es will.“
„Dann los, wir werden den Brief einwerfen.“
Holmes nahm seinen Regenschirm an sich.
„Kommen Sie!“
Mit diesen Worten eilte er in Richtung Haustür.
Die Kutschenfahrt war lang, und ich war überrascht, als Holmes nicht das nächste Postamt, sondern das über, übernächste anfahren ließ.
Er nutzte die Zeit um sich den Brief durchzulesen.
Schließlich fuhr er in die Höhe.
„Lennons Paper with Signature?“ rief er aus.
„Was ist damit?“ fragte ich.
„Dieser Umschlag kommt von der Firma! Ist das ihrer?“
Mr. White wurde leicht rot. „Nun ja, jetzt gehört er ja sozusagen Mr. Smith.“
Holmes winkte ab.
„Erst wenn er ihn erhalten hat. Also ist das ihr Umschlag. Haben sie ihn gekauft?“
„Nein, Sir. Wir haben noch eine ganze Menge davon auf dem Dachboden.“
„Warum?“
„Mein Vater hat sicher mal ganz viele gekauft.“
„So teures Papier, aber die Familien Portraits nur halbherzig malen lassen… Pah. Könnte die Chance bestehen, dass ihr Vater bei Lennons Paper with Signature gearbeitet hat?“
White strahlte meinen Freund an.
„Ja! So muss es sein! Ich kann mich erinnern, er hat mir einmal davon erzählt! Sie sind ein Genie, Mr. Holmes!“
Holmes tat gleichgültig, aber ich wusste, wie sehr er sich über das Kompliment freute.
„Gehen Sie zu der Scotland Yard Wache, sie ist hier ganz in der Nähe. Lestrade soll mit ihnen auf das Anwesen ihres Vaters zurückkehren, ich schätze es ist zu gefährlich für sie, hier zu bleiben!“
Bei der Poststation war ein Postbote gerade dabei alle Briefe in eine Droschke zu verfrachten.
„Mister!“ Rief Holmes einmal laut. „Mister! Ich habe hier noch einen Brief! Können Sie ihn noch mitnehmen?“
Der Postbote gab ein grunzendes Geräusch von sich, dann riss er Holmes den Umschlag aus der Hand.
Kurz las er die Anschrift, grummelte: „Paddington-Street…“ und tat ihn zu den anderen, die offenbar auch nach Mayfar mussten.
Sodann setzte er sich auf den Kutschbock und ließ das Pferd in einen schnellen Trab verfallen, der stetig anstieg und zu einem leichten Galopp wurde.
„Ihm nach Gentleman!“ raunte mir Sherlock Holmes zu und stieg in die nächstbeste Kutsche.
„Bitte so schnell wie möglich in die Paddington-Street!“ befahl Holmes dem Kutscher, und wenig später ratterten die Holzräder über den Asphalt der Innenstadt Londons.
Wir kamen noch vor der Postkutsche an, aber Holmes wusste sich die Zeit zu vertreiben. Er lief um das Haus Mr. Smiths herum, sah sich jeden Ziegel aufs Genaueste an, entdeckte einen Silberlöffel im Graß und untersuchte den Zaun des Grundstücks.
Als er seine Entdeckungstour beendet hatte konnte er uns sagen, dass der Mann getrennt, Alkoholiker und Pfeifen-Raucher war.
Außerdem war er jähzornig, eine starke Persönlichkeit, hasste Kinder und wollte sich nicht helfen lassen.
Derzeit sei er zuhause und lese, so Holmes.
Kaum hatte er mir Bericht erstattet, kam die Postkutsche um die Ecke gerattert, und Holmes wies mich an, nicht zu dem Kutscher zu schauen.
Wir warteten, bis der Postmann den Brief abgegeben hatte und weggefahren war, dann ging Holmes auf die Tür zu. Er hatte den Regenschirm und seine Jacke an einen Mülleimer gelehnt und binnen weniger Sekunden trieften sein Hemd und seine Weste von dem ganzen Regen.
Er stand schon vor der Haustür und holte mich heran.
Ich sollte ebenfalls unsere Jacken ausziehen und so war ich innerhalb weniger Sekunden vollkommen durchnässt.
Holmes klopfte, offenbar hatte er es sehr eilig.
Als Smith öffnete warf er uns zuerst skeptische Blicke zu, dann fragte er uns was wir wöllten.
„Wir haben keine Regensachen dabei. Und wir wollten fragen, ob wir hier verweilen dürften, bis der Regen vorbei ist…?“
Smith musterte meinen Gefährten noch einmal abschätzend, dann ließ er uns herein.
„Warum haben sie denn nicht beim Verlassen ihres Hauses einen Mantel mitgenommen?“ fragte unser Gastgeber, während er uns Tee eingoss.
„Komplizierte Geschichte.“ Sagte Holmes, nachdem er dankend seine Tasse entgegen genommen hatte.
„Wir sind heute Morgen früh aus dem Haus gegangen, um zu einem Freund zu kommen, der auf der Anderen Seite von London wohnt.“
Auch ich nahm meine Tasse entgegen und bedankte mich.
„Dann fing es an zu regnen und aus einem unerfindlichen Grund hat uns der Kutscher dann herausgeworfen.“
„Nun gut, aber nur bis es aufhört zu regnen!“ brummte Smith und ließ sich in seinen Ohrensessel fallen.
„Es stört sie doch nicht, wenn ich das hier lese, oder?“ fragte er dann und winkte mit einem Brief. Whites Brief, wie ich feststellte.
„Nein, nein, keines Wegs. “ Sagte Holmes und nippte an dem Tee.
Unser Bewirte öffnete den Umschlag mit einem Korkenzieher und fischte die Nachricht heraus.
Er überflog den Inhalt und räusperte sich.
Ich warf einen kurzen Blick zu Holmes.
Obwohl der mit der Tasse vor dem Mund ganz still da saß konnte ich sehen, wie unter seinen Liedern die Iris hin und her zischte, wie als ob sie jeden Muskel des Körpers auf einmal beobachten müsse.
Smiths Haut hatte inzwischen eine Farbnuance abgenommen.
Etwas durch den Wind griff er nach einer dreiviertel-leeren Weinflasche und leerte sie in einem Zug.
„Und dabei war sein Vater so ein netter Kerl!” murmelte Smith.
„Darf ich erfahren, worum es in dem Brief ging?“ fragte Holmes beiläufig.
„Was geht sie denn das an?“ bellte Smith rüde.
„Gar nichts, gar nichts!“ wich Holmes aus.
Smith stand ruckartig auf.
„So, der Regen hat jetzt auch aufgehört.“ Sagte er ruppig.
„Wenn ich sie und ihren Freund bitten dürfte, das Haus zu verlassen?“
„Sie dürfen.“ flüsterte Holmes und stand auf. Laut sagte er: „Vielen Dank für den Tee, er war vorzüglich!“
Er stand auf und lief ohne weitere Abschiedsworte vor die Tür.
Aber selbst wenn er welche an den Todbedrohten gerichtet hätte; Smith hätte sie bestimmt nicht erwidert.
4. Richtige und falsche FolgerungenWieder in einer Kutsche auf dem Weg in die Kensington-High-Street zu Mr. White hüllte sich Holmes vorerst in Schweigen.
Er begann dann doch noch mit reden, und das war besser als schweigen.
„Ich werde ihnen jetzt alles darlegen, Watson, was ich weiß, vielleicht fällt ihnen etwas ein, oder auf, was uns von Bedeutung sein könnte.“
Ich nickte, um zu zeigen, dass ich ihm zuhörte.
„Mr. White wird von jemanden bedroht, der bei Lennons Paper with Signature arbeitet. Sein Vater hat übrigens auch da gearbeitet. Nun, sein Vater ist bei Herzversagen gestorben. Nun will jemand, dass Mr. White einen Mord begeht…“
„Aber er wird ihn ja gar nicht begehen!“ protestierte ich.
„Interessanter Aspekt, Doktor! Das ist mir auch schon eingefallen.“ lobte mich Holmes. „Also muss jemand wollen, dass es so aussieht, als würde White jemanden umbringen wollen. Aber hat denn ein Mensch wie White Feinde?“
„Vielleicht aus der Tischlerei?“
„Nein, in der Tischlerei ist er als netter, umsichtiger Mann bekannt.“
„Sie sind sich über das lügnerische Wesen des Menschen bewusst?“
„Mehr, als sie denken, mein lieber Doktor! Aber ich bin seit längerer Zeit mit dem Chef der Tischlerei vertraut, und der hat seine Jungs im Blick.“
„Dann vielleicht Schulfreunde?“
„Mr. White war nicht in der Schule. Das weiß ich ebenfalls von seinem Chef. Der hat ihn nämlich, trotz fehlender Zeugnisse, auf Bewährung eingestellt und wie man sieht, hat er es nie bereut.“
„Dann weiß ich auch nicht, warum ihn jemand hassen könnte!“
Sherlock Holmes zündete sich eine Zigarette an und blies Rauch an die Decke der Kutsche.
„Es ist ein Feind des Vaters.“
Überrascht blickte ich auf.
„Wie meinen?“
„Der Mann, der will, dass White jemanden umbringt ist ein Feind des Vaters.“
„Warum wissen sie das?“
„Wegen Lennons Paper with signature! Drehen sie sich einmal um, mein Lieber.”
Ich drehte mich um, sodass ich durch das Fenster sah, an das ich mich eben gelehnt hatte.
Lennons Paper with signature prangte in großen, schwarzen Lettern über einem älteren Gebäude.
„Endlich!“ hörte ich meinen Freund hinter mir hauchen. „Endlich habe ich neue Anhaltspunkte!“
Ich drehte mich um. Die Augen meines Freundes waren so weit geöffnet, wie das eine junge Mädchen eines gutaussehenden Mannes gegenüber.
„Aber warum sind sie nun so überzeugt, dass es Feinde des Vaters waren?“
Fragte ich und riss ihn so wohl aus seinem scheinbar Narkotisierten Freudenszustand.
„Jetzt denken sie einmal nach, Watson. Die Firma, die White das Papier für seinen Drohbrief bereitgestellt hat weigert sich zu sagen, wer das Papier bestellt hat. Noch am nächsten Tag dieser Nachforschung macht die Firma zu und macht woanders wieder auf.
Wenn man das jetzt als eine kleine Geschichte verpacken würde:
Der Mann, der bei L. P. w .S. arbeitet und das Papier für Herrn White verschickt hat, hat bemerkt, dass ans Licht kam, das er das Papier verschickt hat. Nun schließt er die Firma, um vorzutäuschen, dass die Firma Pleite gemacht hat. Da aber diese Firma seine einzige Geldanlage ist muss er sie woanders wieder eröffnen. Nun, leider hatte er Pech und einem Meisterhaften, beratenden Detektiv ist seine Neueröffnung aufgefallen. Wo sind wir hier? Ah ja, Cromwell Road. Merken Sie sich das bitte, mein lieber Freund.“
„Sie sind mit ihren Aufklärungen noch nicht zu Ende, Holmes.“
„Nun denn, also muss es ein Feind des Vaters sein, weil der Geschäftsführer selbst so alt ist wie Mr. Whites Vater heute sein müsste. Und ausserdem muss der, der bewirkt hat, das die Firma schließt und wo anders wieder aufmacht mächtig sein. Der Chef der Firma würde auf so eine alberne Bitte nicht eingehen, wenn sie nicht von dem Chef persöhnlich kommt“
„Und woher wissen sie das?“
„Kleine Rechenaufgabe. Nun, vielleicht ist Mr. Lennon wütend darüber, dass Mr. White Papier hat mitgehen lassen.“
„Ja, das wäre eine Möglichkeit.“
Wir stiegen aus und bezahlten, denn wir waren in der Kensington-High-Street angekommen.
Mr. White empfing uns an der Tür.
„Sir! Doktor! Ich habe etwas gefunden, das ihnen helfen könnte!“
Mein Gefährte und ich warfen uns Blicke zu.
„Hier!“ sagte unser Klient, als wir in den Flur getreten waren.
Er hielt uns ein überdurchschnittlich dickes Buch mit einem kleinen Schloss hin.
Holmes nahm es entgegen und untersuchte es kurz.
„Ein Tagebuch. Haben sie vor die Geschichte zu einem Bestseller werden zu lassen, wenn wir ihren Bedrohenden gefunden haben?“
White lachte und schüttelte den Kopf. Aber schon, dass er lachte hieß, dass er sich von dem Lebensgefahr-Schock ein wenig erholt hatte.
„Ich bin Froh, wenn dieses Kapitel meines Lebens abgeschlossen ist. Das da sind die Lebensaufzeichnungen meiner Mutter. Von ihrem zehnten Geburtstag bis zu ihrem Todestag.“
Holmes horchte auf.
„Todestag?“
„Ja, meine Mutter starb bei meiner Geburt.“
„Mein tiefstes Beileid.“ Sagte Holmes und zwängte sich an White vorbei in den Flur. „Scotland Yard ist nicht hier?“
White schüttelte unbekümmert den Kopf.
„Es ist etwas Wichtigeres dazwischen gekommen.“
Holmes zog seine Augenbrauen hoch. „Wichtiger als eine Morddrohung? Typisch Scotland Yard“
White zuckte die Achseln. „Sie scheinen ja nicht viel von ihren Kollegen zu halten…“
Holme zuckte herum und hob anklagend den dürren Zeigefinger.
„Nicht Kollegen! Nicht mal ansatzweise!“
White zuckte die Achseln. „Nun ja, ein Mord ist doch wichtig, oder liege ich da falsch.“
„Aber das heißt doch nicht, dass sie unwichtiger sind!“ schaltete ich mich nun ein.
Aber bevor White antworten konnte rollte ein Polizei-Wagen vor.
Lestrade sprang heraus und lief eiligen Schrittes auf uns zu.
Ich wollte ihn gerade höflich begrüßen, da zog er eine Handfeuerwaffe und richtete sie auf unseren Klienten.
„Mr. White, Sie sind auf den dringenden Verdacht von Mord festgenommen!“
White wurde kalkweiß und mein Gefährte atmete Schneidend ein.
„Lestrade! Was soll das denn jetzt?“ fragte er, sichtlich bemüht nicht zu brüllen.
„Der Mann hat sechs Menschen umgebracht, alles Weitere können Sie in einem Monat von Richter Paton hören.“
„Was soll das? Ich bin unschuldig!“ protestierte White und mit jedem Polizisten der zu uns kam und eine Waffe auf den putativen Mörder richtete wurde er bleicher, bis sein Gesicht einen Ungesunden Milch Ton angenommen hatte.
Lestrade packte ihn unsanft am Handgelenk.
„Das sagen Sie alle! Aber sie landen eh alle am Galgen!“
Bei dem Gedanken an dieses Gerät verlor White endgültig das Bewusstsein und sackte in Lestrades Armen zusammen.
Sechs Polizisten hoben den armen Teufel auf und trugen ihn zu der Kutsche.
„Und sie Holmes!“ wandte sich nun Lestrade an uns.
„Lassen sie den Fall ruhen, wir haben den Schuldigen und wir brauchen es nicht, dass sie noch mehr Probleme aufwerfen! Deswegen verbiete ich ihnen an diesem Fall weiter zu arbeiten!“
Mit diesen Worten lüftete der Kommissar seinen Hut und verschwand ebenfalls in der Kutsche.
„Das ist die typische Scotland Yard Denkweise. Wenn sie einen Schuldigen haben, sind sie zufrieden. Unglaublich.“ Seufzte Holmes.
Dann musterte er noch kurz das Tagebuch, das immer noch in seiner Hand ruhte, und verschwand im inneren des Hauses.
Leise prasselte der Nieselregen gegen das Fenster und Sherlock Holmes saß in einem Lehnsessel vor dem Kamin. Dieser war aus, aber Holmes schien nicht auf Wärme aus. Er hatte seine Pfeife entzündet und blies blaugraue Kringel an die Decke.
Ich saß schräg hinter ihm.
„Wie schade, dass es geregnet hat. Der Schnee hätte uns behilflich sein können. Nun ist alles weg.“
„Holmes? Wollen sie nicht weiterarbeiten?“ fragte ich leise. „Lestrade wird wiederkommen und das Gebäude abschließen, dann habt ihr keinerlei Beweise mehr!“
Mit immer noch geschlossenen Augen hielt Holmes einen Schlüsselbund hoch.
Ich musste kurz lachen. „Ihr wollt den Fall wirklich nicht beenden?“
Jetzt öffnete Holmes seine Augen.
„White ist unschuldig. Ich weiß es. Dann wäre nämlich Matsch an Schuhen, Fußmatte und Boden. Aber nirgends ist Unrat. Niemand putzt so gründlich. Irgendetwas würde ihn verraten! Aber es verrät ihn nichts!“
„Sagen wir es mal andersherum. Wenn wir den Absender des Briefes an White finden, können wir seine Unschuld beteuern.“ unterbrach ich seinen Unzusammenhängenden Wortschwall.
„Sie denken das gleiche wie ich? “
„Ja, mein Freund. Der Absender hat Mr. Smith erschossen.“
„Und die anderen Fünf auch. Doktor, sie machen Fortschritte.“
„Vielen Dank!“
„Nun, wir müssen das Schloss knacken…“
„Soll ich einen Hammer holen?“
„Ich habe das Schloss bereits geknackt. Das schwerste wird sein, die Handschrift des Mädchens zu entziffern.“
Eine Hand tauchte vor dem Lehnsessel auf und wartete darauf, dass ich ihr das Buch abnahm. Ich griff danach und untersuchte die Buchstaben.
„Ich habe auch das schon geschafft. Erinnern sie sich an die Nachricht, dass sie sich nicht so leicht reinlegen sollen?“
Ich brummte etwas Unverständliches.
„Ich habe seit ihrem 16. Geburtstag alles gelesen. Sie war eindeutig viel jünger als ihr Mann, aber was erzähle ich denn da, lesen sie selbst!“
Ich überflog den Text und entdeckte in der Tat interessantes.
5. Auszüge aus dem Tagebuch der Katy Miller2.April
Ich bin heute das erste Mal bei Lennons Paper with Signature gewesen.
Ein wahrlich guter Arbeitsplatz. Nicht zuletzt wegen dem gutaussehenden Mann. Thomas White. Er hat so ein strahlendes Lächeln! Immer wenn hinten von der Druckerpresse Papier gekommen ist, hat er es in den Verkaufsraum gebracht und mich dabei angesehen! Einmal hat er mich sogar begrüßt.
Er ist etwa vierzig, aber er sieht so gut aus! Ob er sich wohl für mich interessiert? Weil ich doch nur 19 bin! Ich habe Angst ihn anzusprechen, aber ich will es unbedingt tun!
Ich empfand etwas wie Scham, weil ich in Tagebüchern anderer Leute stöberte, und der Trost, dass die Leute eh schon Tod waren, machte es nicht besser.
10. April
Heute hat mich Samuel Lennon angesprochen. Er ist der Sohn des Chefs hier.
Er hat mich gefragt, ob er mich ins Royal ausführen darf,
Thomas hat zugesehen.
Dementsprechend habe ich nein gesagt.
Noch am selben Tag fragte mich White, ob ich denn etwas gegen das
Royal hätte und als ich verneinte lud er mich ein.
Was ziehe ich nur an?„Wenn sie so weiterlesen werden wir nie fertig.“ Riss mich Holmes aus dem Bericht.
„Ich werde ihnen erzählen, was passiert.“
„Ich bin ganz Ohr.“
„Nun, die beiden treffen sich, aber Lennon erfährt davon. Während Mr. White und Ms. Miller immer mehr zusammenwachsen wird Lennons Abneigung zu White immer größer. Miller kann er ja nicht hassen, weil er sie ja liebt.
sage es ja immer, die Liebe macht blind. Wie dem auch sei, schließlich macht White seiner Geliebten einen Heiratsantrag und sie gibt ihm überglücklich das Ja-Wort. Die beiden heiraten und feiern anschließend im Hyde Park. So weit so gut, aber Lennon ist auch eingeladen, weil er ja ein Mitarbeiter beider Leute ist. Lennon ist wütend auf White, weil er ihm die Frau weggeschnappt hat, das wird klar, als es im Park zu einer Auseinandersetzung beider Männer kommt, der Ms. Miller, also jetzt ja Mrs. White ungewollt und unbemerkt beiwohnt.
Jedoch lassen sich die Whites nicht von ihrem Freund abschrecken und genießen ein erfülltes Eheleben.
Nun wollen die beiden Kinder und sie bekommen den kleinen Gordon, jedoch stirbt die gute Mrs. White bei dessen Geburt. Ihre Wehen sind sehr eingehend beschrieben, wenn sie Interesse haben Doktor… Nun, wie dem auch sei dort endet das Tagebuch.“ Holmes holte Luft. „Aber den Rest kann ich mir denken. Ich muss Los. Folgen sie mir, wenn sie bereit sind, Watson.“
Und ehe ich es mir versehen konnte war mein Gefährte durch die Tür gerauscht.
Ich packte das Tagebuch und Holmes Pfeife ein, die er wohl vergessen hatte und folgte ihm, aber seine Droschke war bereits abgefahren.
Seufzend rief ich die nächste und fuhr in die Baker-Street, aber zu meiner Überraschung teilte mir Mrs. Hudson mit, das Holmes nicht eingetroffen war.
Danach fuhr ich zum Gefängnis und wechselte einige Beruhigende Worte mit Mr. White, bevor ich erfuhr, dass er auch hier nicht gewesen war.
„Sein Glück! Immerhin hatte er den Fall ruhen sollen!“ rief mir Lestrade noch nach, als ich wieder zu der Droschke eilte.
„Und wo nun hin?“ fragte der Kutscher.
Ich seufzte. „Ich hab keine Ahnung.“
„Vielleicht wollten sie ein Telegramm versenden?“ fragte der Kutscher, der wohl dachte, dass ich die Aussage geäußert hatte weil ich vergessen hatte, wo ich hin wollte. „Wollen Sie nachhause oder einen Brief einwerfen?“
„Das ist es!“ rief ich aus. „Fahren sie mich bitte zu Lennons Paper with Signature!“
Der Fahrer nickte und lies seine Peitsche knallen.
Jedoch dauerte es ein wenig, bis wir angekommen waren und ALS wir dann da waren hatte ich nicht mehr genug Geld dabei gehabt.
„Hören sie, ich möchte zu einem Freund. Wenn sie hier stehen bleiben kann er ihnen später etwas geben. Ich weiß, das ist jetzt bestimmt nicht schön, aber ich muss wirklich los…“
„Gehen Sie, ich hab nicht viel zu tun. Aber gleich möchte ich es, ja?“
„Selbstredend!“ sagte ich schnell und trat in den Laden.
Das Geschäft war erstaunlich gut eingerichtet, dafür dass es erst seit einigen Tagen bestand hatte.
„Ich würde gerne mit dem Chef reden!“ sagte ich einer Dame an einem Verkaufstisch.
„Es ist schon jemand bei ihm!“ sagte die Dame, von meiner offensichtlichen Gehetztheit nahm sie offensichtlich keine Notiz.
Sehr schön! Das musste Sherlock sein!
„Der gehört zu mir.“
Die Dame zuckte die Achseln.
„Nun gut, dann folgen Sie mir bitte!“
Dankend eilte ich ihr nach.
6. Mr. Samuel Lennons GeschichteDie Dame Führte Mich in ein angewärmtes Büro, indem bereits Holmes saß.
Ihm gegenüber, hinter dem massigen Schreibtisch saß ein Herr von etwa 70 Jahren mit schwarzen Haaren und beginnenden Grauansatz. Er war etwas untersetzt und hatte ein breites Gesicht, mit kleinen, dunklen Augen.
Eindeutig Mr. Samuel Lennon.
Holmes drehte sich zu mir um, er hatte mit dem Rücken zu mir gesessen, und bedeutete mir, mich zu setzen. Erst als auch Mr. Lennon mir ein Zeichen gab, nahm ich auf dem anderen Stuhl Platz.
Das glitzern in den Augen meines Freundes zeigte mir, dass der Papier-Fabrikant bereits gestanden hatte.
„Aber was wollen Sie tun, Mr. Holmes?“
„Sie werden vor diesem Mann weiterreden?“ fragte Holmes und deutete auf mich.
„Selbstredend. Ich weiß, dass das hier ihr Lakai ist, Mr. Holmes.“
„Nun denn, ich werde sie zu Scotland Yard bringen. Aber wenn sie so aufmerksam wären und meinem Lakai ihre Geschichte auch erzählen könnten? Ich bin mir sicher, dass ihn das genauso interessiert, wie es mich interessiert hat.“
Mr. Lennon beobachtete mich aus seinen Schweinsäuglein.
Dann begann er mit seinem Bericht.
„Ich habe Katy geliebt. Sie war gutaussehend, nett und hatte reiche Eltern.“ Holmes warf mir einen sardonischen Blick zu.
„Thomas White war ein Freund. Wir sind zusammen in die Schule gekommen und haben viele Nachmittage gemeinsam beim Angeln oder lernen verbracht. Ich habe ihn immer respektiert, auch wenn er um Längen besser aussah und sich die Mädchen nach ihm umdrehten, wenn wir die Straßen hinunter flanierten. Dann wurde es Zeit, dass wir uns einen Beruf suchten. Bei mir war es beschlossene Sache; ich würde die Firma meines Vaters übernehmen. Thomas allerdings hatte nirgends eine Stelle gefunden und so stellte mein Dad ihn auf meine Bitte hin ein.
Nun, die Jahre vergingen und Wir arbeiteten und irgendwann kam Katy in die Fabrik. Sie kam zwar nur vorne in den Verkauf, aber wir beide verliebten uns in sie. Der drittschlimmste Tag meines Lebens war, als mir Thomas seine Liebe zu ihr gestand. Der zweitschlimmste war, als sie meine Einladung ins Royal abschlug und seine annahm.
Nun begann ihre Beziehung immer mehr zu wachsen und schließlich, am schlimmsten Tag meines Lebens heirateten die Zwei.
Sagen Sie mir jetzt nicht, als Freund, und sogar als Trauzeuge soll ich mich für die beiden Freuen. Das wäre etwas sehr weit hergeholt. Ich habe Thomas gehasst! Wie einen Todfeind! Ich wünschte, um ehrlich zu sein, dass er Tod sei. Aber er war quicklebendig, und hochzeitete meine Traumfrau. Das konnte und wollte ich nicht zulassen. Nach der Trauzeremonie suchte ich ihn im Hyde Park auf und begann mit einem heftigen Streit. Wir warfen uns böse Schimpfwörter an den Kopf, viel zu böse, als dass ich sie ihnen nun vortragen möchte.“
Er wandte seinen Kopf kurz mir zu.
„Ihr Freund hat mich soeben darüber aufgeklärt, das Katy
kurz zugehört hatte. Das muss am Anfang des Streits gewesen sein, denn ich habe im Mittelteil des Streits etwas rascheln gehört und etwas Weißes verschwinden sehen. Ich hatte gedacht, es sei eine Taube gewesen. Nun wie dem auch sei, am Ende, als wir kurz vor einer Prügelei waren drohte ich ihm, ihn umzubringen. Dann ging ich. Ich habe meinen Vater angefleht die Whites zu feuern, aber da beide so Fleißige Arbeiter waren hat mein Vater das nicht zugelassen. Die Morddrohung habe ich damals einfach versucht als wütenden Wortschwall abzustempeln, aber es ging irgendwie nicht. Ich habe White mehr gehasst als… Eine Maus eine Katze wenn man es in einer Metapher vermildern möchte. Nun kam die Zeit da White in Rente ging und immer öfter blieb auch Katy zu Hause, weil sie sich ach so sehr um ihren Ehemann kümmern müsse. Außerdem war sie… Nun ja… In anderen Umständen und blieb auch deshalb öfter Zuhause, in ihrem Bett.
Das mein Vater das so tolerierte war für mich ein Mysterium ohne gleichen. Ich konnte Katy ganze 11 Monate nicht mehr sehen und an allem war dieser Thomas White schuld!“
„Entschuldigung?“ unterbrach ich ihn. „Elf Monate? So eine lange Zeit?“
„Ja, das habe ich mich auch gefragt, und an allem war Thomas schuld! Nun hatte ich mich schon gefreut, als der Tag gekommen war, an dem Katy eigentlich zurück an ihren Arbeitsplatz kommen sollte, aber ihr Platz blieb leer und ich erfuhr auf schmerzhafte Weise, dass Katy, die schönste Frau meines Lebens währen der Geburt eines kleinen Balges dahingeschieden war.
Zuerst flammte die Wut über Thomas wieder in mir auf und er konnte immer nur knapp meinen Attentätern entkommen. Und ich setzte viele an. Mein Vater war inzwischen an Altersschwäche gestorben und nun hatte ich Geld zur Verfügung. Nun, ein paarmal ließ ich es auch bleiben, weil die Polizei auf ein paar Gewehrschüsse aufmerksam geworden war, aber ich versuchte es immer mal wieder.
Nun, White jr. wurde größer und größer, da Mr. White nur begrenzte Finanzielle Mittel zur Verfügung standen konnte er ihn nicht auf eine Schule schicken, und Mr. White wurde älter und älter.
Ich hatte mir einen schönen Tag für ein weiteres Attentat ausgesucht, ein melancholischer, verregneter Novembertag, und einen der besten Meuchelmörder ganz Londons auf ihn angesetzt, da starb er an Herzstillstand.
Ich habe es von dem Kindsmörder, sein Codename, falls er ihnen überhaupt etwas bringt ist Dad Dead, erfahren.
Nun war ich in Raserei verfallen, weil White seinen Tod nicht durch mich gefunden hatte und bezahlte Dad Dead nicht. Ich kann von Glück sagen, dass er mich nicht von hinnen gehen lassen hat, dazu war ich ein wohl zu guter Kunde.
Also richtete ich meine Wut auf White jr, wissen sie, er ist dem alten wie aus dem Gesicht geschnitten, und mein Groll nahm noch dadurch zu, dass er für den Tod meiner Katy gesorgt hatte.
Den Rest können Sie sich ja denken, Gentlemen.“
„Sie haben Mr. White zu einem Brief gezwungen, der wie eine Drohung klingt. Dann haben sie den getötet, dem die Drohung gebührt und fünf weitere. Nun steht White als der Schuldige da, und soll gehängt werden.
Ohne Zweifel: Sie wollen ihn leiden sehen, wie Katy bei seiner Geburt, während ihm langsam die Luft ausgeht…“
Lennon legte sich einen Imaginären Strick um den Hals und zog ihn hoch.
Dann legte er den Kopf schief und ließ sardonisch lächelnd die Zunge raushängen.
„Mit Verlaub Sir, sie sind ein Mistkerl.“ Sagte ich abfällig. Wie konnte nur so viel Unverschämtheit in einen Körper des unseren 19. Jahrhunderts passen? Ich war schockiert.
„Aber was wollen sie tun? Keiner von Scotland Yard hat das hier mitgehört. In einem Monat wird White gehängt, dann ist diese Geschichte auf Ewig begraben.“
„Ich werde Beweise gegen sie finden!“ sagte Holmes ruhig. „Und wenn ich neben White am Galgen ende.“
Mein Freund stand auf, entfachte ein Streichholz an der Tapete und zündete damit seine Pfeife an. Dann schlenderte er langsam aus der Tür.
7. Die Beweise„Welche Beweise werden Sie suchen?“ fragte ich, als wir in der Droschke saßen, Holmes hatte in der Tat Geld gehabt und den Fahrer mit reichlich Trinkgeld entlohnt.
„Ich werde nur eins suchen. Nämlich Lestrade. Ich habe bereits sämtliche Beweise, die Whites Unschuld beteuern. Wir müssen nur Lestrade holen, und sie ihm aufführen.“
Eine Lange Zeit des Schweigens folgte.
Als wir am Revier angekommen waren verlangte Holmes, den Kommissar zu sprechen.
Lestrade schien äußerst genervt, als ihm von Holmes‘ Besuch referiert wurde.
„Was wollen Sie?“ fragte er genervt, als er zu uns getreten war.
„White ist unschuldig…“
„Ach hören sie auf! Ich habe ihnen verboten, den Fall weiter zu behandeln!“
„Wie wurden die Leute umgebracht?“
„Holm-es!“ sagte Lestrade langgezogen.
„Bitte, Vertrauen sie ihm!“ schaltete ich mich ein. „Sie werden es nicht bereuen.“
Lestrade seufzte noch einmal, die Arme über der Brust verschränkt.
„Sie wurden erschossen! Und jetzt unterlassen sie das Arbeiten an dem Fall!“
Holmes erwiderte jetzt den genervten Blick des Kommissars.
„Ich bin näher an der Lösung als sie!“ schnaubte er.
Ich warf meinem Genosse Blicke zu. Löste er auf?
„Der wahre Schuldige ist Lennon.“
„Der Mann von der Papierfabrik, die geschlossen hat?“
„Genau der, die Firma hat neueröffnet.“ Nickte Holmes. „Darf ich bitte die Leichen sehen? Anschließend werden wir Lennon noch einen Besuch abstatten und anschließend den Häusern der Opfer.“
„Holm-es! Wir werden nirgendwo hingehen!“
„Aber White ist unschuldig! Wie kann man nur jemanden vor Gericht führen, ohne genau zu wissen, ob er die Gräueltat begangen hat?“
Seufzend willigte Lestrade ein. „Aber wenn ich es bereue, werden Sie dafür aufkommen, Holmes!“
Wenig später saßen wir in einer Droschke zum Leichenschau-Haus.
Lestrade schwieg die meiste Zeit, aber als er etwas sagte war es etwas, das auch mich die ganze Zeit beschäftigt hatte.
„Warum fahren wir zuerst zu den Leichen, wenn der Täter noch freien Fußes ist?“
„Weil er seine Zeit zuerst in einem Casino verspielen wird und danach zu seiner Firma, die ihm auch als Haus fungiert, zurückkehren wird.“
„Wie um alles in der Welt haben sie das herausbekommen?“ fragte Lestrade.
„Nun, das mit dem Casino ist wirklich nur geraten, ich wollte ihnen eine Gewissheit geben, dass ich weiß was passiert, aber ob es ein Klub sein wird, weiß ich selbst nicht. Aber er wird irgendwo sein, da er ja weiß, dass wir ihm auf den Fersen sind.“
„Sie waren bei ihm Holmes?“ fragte Lestrade fassungslos.
„Ja.“ Sagte Holmes unbedenklich. „Aber da sind wir. Kommen sie, Gentlemen!“
Das Leichenschau-Haus war nur leicht besucht, da es gerade dunkel wurde und es einige wohl als unangenehm empfanden, nach dem Dunkelwerden durch ein Gebäude lauter Leichen laufen mussten.
Lestrade führte uns zu sechs Männer-großen Beuteln, Holmes knüpfte die Leichensäcke auf und betrachtete die Toten.
Er untersuchte die Leichen, trat ein paar Schritte zurück, richtete nacheinander eine Imaginäre Waffe auf jeden einzelnen, wiederholte das, während er leicht in die Knie ging und untersuchte die gesäuberten Wunden aufs genauste.
Dann zog er etwas aus jeder der Verwundungen und roch daran.
„Was ist das?“ fragte Lestrade und trat näher.
„Das“, sagte Holmes und hielt eine Revolver Kugel hoch. „Ist die Mord Waffe! Sie riecht sogar noch ganz leicht nach Schwarzpulver. Doktor, würde es ihnen etwas ausmachen, den Todestermin auszurechnen?“
Ich trat an die Leichen heran und untersuchte sie geschwind.
„Heute Morgen, um 6 Uhr die erste und die letzte um 30 Minuten vor 7!“ sagte ich dann.
„Vom Haus des letzten Opfers bis zu Lennons Betrieb sind es 30 Minuten!“ sagte Holmes nebenbei. „So, und nun kommen sie bitte ein weiteres Mal mit…“
Rasch führte uns mein Freund zur Tür.
„Warum glauben sie eigentlich, dass White der Schuldige ist?“ fragte Holmes auf der Fahrt zu den Häusern der Opfer ganz beiläufig.
„Er hat einem einen Drohbrief geschrieben, in dem stand, dass er ihn und seine Brüder umbringen wird.“
„Brüder? White hatte mit diesen Leuten nichts am Hut, woher soll er wissen, dass es Brüder sind?“
„Er weiß es halt. Immerhin hat er auch vorgetäuscht, einen Drohbrief bekommen zu haben. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass er ihn eigenhändig geschrieben hat um den Armen, bemitleidenswerten zu spielen.“
„Sie würden schlimme Verbrennungen bekommen, für nichts. Das ist nicht Whites Handschrift auf dem Brief!“
„Die kann man verändern.“
„Nun gut. ES gibt noch genügend Gründe, die für White sprechen, warten sie nur ab.“
„Dank ihrem Arbeitsplatz, beziehungsweise ihres nicht vorhandenen Arbeitsplatz, lagen alle Opfer noch in ihren Betten. Der Mörder stand hier. Das sieht man an den etwas nassen Spuren auf dem Holz, unter diesem Teppich.
Schlamm lässt sich so schwer abwaschen, vor allem in so kurzer Zeit, er hatte ja noch andere zur Strecke zu bringen. Für jedes Opfer hatte er zehn Minuten Zeit, nicht genug Zeit, um Fußspuren wegzuschrubben. Dieser Teppich liegt nämlich normalerweise unter dem Bett, dem Staub und der Staubfahne hier, vom her schleifen, zu entnehmen.“
Holmes deutete während seines sehr erleuchtenden Vortrags auf alle Sachen, von denen er redete.
„Wäre es nun der große White gewesen, der geschossen hat, wäre der Winkel der eindringenden Kugel anders gewesen. Auf den kleinen Lennon passt der Winkel genau.“
Lestrade nickte. „Da haben sie recht.“ Gestand er.
„Noch dazu die Schuhe!“ wies Holmes auf die Spuren.
„So sehr sie Whites Wohnung untersuchen werden, sie werden nicht einen Schuh dieser Marke finden. Die ist White nicht nur zu teuer, nein, diese Größe ist ihm auch viel zu klein. Er würde sich blasen holen. Haben sie Blasen an seinem Fuß gesehen?“
„Nein, das habe ich nicht, aber…“
„Nichts aber. Wenn wir jetzt zu Lennon gehen würden, würden wir eine Pistole finden, in die diese Kugeln passen. Mit der Pistole könnte man Zehn Kugeln abfeuern. Sie werden noch vier Munitionen darin vorfinden.“
Alles geschah so, wie Holmes es gesagt hatte.
Als wir bei Lennons angekommen waren fragten wir noch eine Verkäuferin, ob der Inhaber heute Morgen von 6 bis 7 da gewesen war.
Nein, er war außer Haus gewesen, aber um 7 zurückgekommen.
Wir fanden dann tatsächlich die Waffe, mit in der Tat vier weiteren Schüssen.
Und die Pistole hatte sogar noch nach Schießpulver gerochen.
Alles war so, wie Holmes es gesagt hatte, und als Lennon als Abwesenheitsbeweis meinte, er sei im Kasino gewesen machten wir auf dem Weg ins Revier nur zu gerne einen Umweg und fragten in eben diesem, wann es denn aufmache. Um 8 Uhr war die Antwort.
Es war ein Fall Abschluss wie aus dem Bilderbuch, alles deutete auf Lennon hin und White wurde noch am selben Tag freigelassen.
Allerdings haben wir ihn an dem Tag nicht mehr zu Gesicht bekommen. Aber das war auch gut so.
Mein Gefährte und ich waren uns einig, dass er erst einmal zu seiner Familie gehen und sich erholen sollte.
Auch meinem Freund war nach hinlegen zu Mute, da er einmal mit dem Fuß umgeknickt war und der Knöchel unangenehm blau geworden war.
Dementsprechend hatte ich ihm, als sein Freund und Arzt, Bettruhe verschrieben.
Jedoch ließ er sich nicht nehmen, noch über die Schulter zu rufen, ob denn Lestrade gar nicht aufgefallen war, dass White gar keine Waffe zu Hause gehabt hatte, als wir aus der Wache traten.
8. Das Ende der GeschichteEs schneite ganz leicht und nach dem vielen Regen tat das richtig gut.
Wir nahmen aufgrund des Zustandes meines Freundes eine Droschke und waren schon bald in der Baker-Street angekommen.
„Home, sweet Home.“ Sagte Holmes seufzend und ließ sich auf seinen Sessel fallen.
Ich hängte für ihn seinen Mantel auf und machte es dann auch mit meinem.
Ich trat in die Küche und richtete ein paar Kekse auf einem Teller an.
Dann machte ich Kaffee.
„Holmes, hat ihnen schon mal jemand gesagt, dass sie ein meisterhafter Detektiv sind?“ fragte ich laut, damit Holmes es im Salon es auch hören konnte. „Ich habe zwischendurch auch ein, zweimal an der Unschuld Whites gezweifelt, aber sie haben alle Ungewissheiten einfach weggefegt.“
Ich nahm das Tablett und ging Richtung Wohnzimmer.
Dort stellte ich das Tablett auf den Couchtisch, aber als ich meinem Freund seine Tasse geben wollte, war er einfach zufrieden lächelnd eingeschlafen.
Ich setzte mich auf einen Sessel und nippte an meinem Kaffee.
Dann schaute ich auf und sah nach draußen.
Wie lange war es her gewesen, dass es das letztemal geschneit hatte?
Es kam mir vor wie ein Jahr.
Ich studierte wieder die Schneeflocken.
Vielleicht führte uns ja erneut einer der kleinen Eiskristalle zu einem neuen Klienten?
[/color]
Aus den Erinnerungen des
John H. Watson M.D.,
Zusammengetragen im 20.
Jahrhundert,
ereignet zwei Wochen
nach dem Ersten Teil der Akte
Epilog
Ich riss alle Fenster auf.
„Holmes! Was zum…?“ Mein Gefährte saß in seinen Sessel gesunken, die Geige auf dem Schoß.
Er zupfte ein wenig an den Saiten und schien es dabei nicht auf eine Melodie abgesehen zu haben.
„Manchmal habe ich Glück, aber meistens sind die Fälle rar. Geben sie mir Stress! Geben sie mir Tote, Mörder oder Betrüger. Am besten alles. Zusammen. Und noch meine Pfeife mit dem stärksten Tabak der Stadt. Ach was, den stärksten der Welt!“
„Holmes! Wie viel haben sie geraucht? Hier ist schon alles total vernebelt!“
„Dann lüften sie kurz und dann holen sie mir neuen Tabak. Und Tote. Und Mörder. Und Betrüger.“
„Ist es denn nicht schön, wenn es mal friedlich zugeht?“
Holmes starrte mich unverwandt an. „Muss es nicht langweilig in so kleinen Gehirnen sein?“ fragte er dann.
Ich ignorierte die Beleidigung mit einem Schnaufen, dann schloss ich die Fenster wieder, weil es zu kalt wurde.
„Ich habe ihnen die Zeitung mitgebracht. Hier!“
„Sie waren in ihrem Klub? Das sehe ich an ihrem linken Zeigefinger.“
„Mein lieber Holmes…“
„Es ist schon Dezember?“
„Der erste, ja.“
„Und immer noch keine Fälle… Es ist wie an Weihnachten als kleines Kind. Man wartet, bis das Glöckchen klingelt und man zu der Bescherung darf. Man weiß, dass es klingeln wird, aber die Zeit des Wartens. Ohhh… Himmel, das macht mich krank!“
„Sie sind sich sicher, dass etwas kommen wird?“
„Es wird immer was kommen. Vielleicht so berechenbar, dass selbst Scotland Yard es auf die Reihe bekommt, aber es wird was kommen. Es wird immer was kommen.
Wie ich gerade lese wurde Lennon gehängt.“
„Ja, wegen sechsfachen Mordes und Morddrohung. An White, wenn ich das richtig verstanden habe.“
„Wissen Sie, wer die sechs Opfer waren?“
„Nein.“
„Sie waren alle ehemalige Freunde des alten Mr. White. Wie geht es dem jungen?“
„Er ist wohlauf. Letztens Befördert worden. Sein Vorgesetzter, nicht ihr Freund, ist… Nun ja… Arbeitsunfähig geworden.“
„Inwiefern?“
„Ihn hat das Zeitliche gesegnet.“
„Altersschwäche?“
„Ja.“
„Laangweilig. Schade…“
In dem Moment klopfte es an der Tür.
Mrs. Hudson trat ein, hinter ihr eine Frau.
„Mr. Holmes, diese Lady will zu ihnen.“
Holmes und ich sahen uns grinsend an.
„Klingeling.“
Ende?